Wann hat eine einstweilige Verfügung des Arbeitgebers gegen die Durchführung der Betriebsratswahl Erfolg?
1. Eine Betriebsratswahl kann gerichtlich nur abgebrochen werden, wenn der Wahlvorstand bei Einleitung der Wahl offensichtlich nicht im Amt war oder die festzustellenden Mängel im Wahlverfahren zu einer nichtigen Wahl führen würden.
2. In allen anderen Fallgestaltungen ist der Arbeitgeber auf das Wahl-anfechtungsverfahren zu verweisen, bei dem jedoch der gewählte Betriebsrat zunächst im Amt bleibt.
(Leitsätze des Verfassers)
LAG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 23.11.2021 – 13 TaBVGa 1534/21, Pressemitteilung
Die Arbeitgeberin, der Lieferdienst Gorillas, hatte den Abbruch der erstmaligen Betriebsratswahl im Zeitraum 22. bis 27. November 2021 vom Wahlvorstand verlangt, da ihrer Auffassung nach bereits das Verfahren zur Bestellung des Wahlvorstandes nicht ordnungsgemäß verlaufen sei. Das Wahlausschreiben des Wahlvorstandes enthalte erhebliche Fehler und sei nicht an allen erforderlichen Orten ausgehängt worden. Zudem sei der Betriebsbegriff verkannt worden, es bestehe aufgrund zweier – kurzfristig von der Arbeitgeberin vorgenommener – Betriebsveränderungen keine Zuständigkeit des Wahlvorstandes (mehr) für die Beschäftigten, die zur Wahl aufgerufen worden seien.
Nachdem der Wahlvorstand den Abbruch der eingeleiteten Betriebsratswahl ablehnte, beantragte die Arbeitgeberin beim Arbeitsgericht Berlin den Erlass einer einstweiligen Verfügung, mit dem die Durchführung der Betriebsratswahl verhindert werden sollte. Sowohl das Arbeitsgericht Berlin (Beschluss vom 17.11.2021 – 3 BVGa 10332/21) als auch das in der zweiten Instanz zuständige Landesarbeitsgericht Berlin – Brandenburg (Beschluss vom 23.11.2021 – 13 TaBVGa 1534/21) haben den Antrag der Arbeitgeberin abgewiesen.
Zur Begründung ihrer Entscheidungen haben beide Gerichte darauf abgestellt, dass ein Abbruch der Betriebsratswahl durch Erlass einer von der Arbeitgeberin beantragten einstweiligen Verfügung nur ausnahmsweise möglich sei, wenn ganz erhebliche Fehler feststellbar seien, die zur Nichtigkeit der Betriebsratswahl führen würden. Dies gelte auch in Betrieben, in denen erstmalig eine Betriebsratswahl durchgeführt wird; hier sei kein anderer Maßstab anzuwenden. Zudem stellt das Landesarbeitsgericht Berlin – Brandenburg fest, dass der Erlass einer einstweiligen Verfügung mit der die Durchführung der Betriebsratswahl abgebrochen werden soll ausscheidet, wenn die Betriebsratswahl „lediglich“ anfechtbar sei. In einem solchen Fall gebiete insbesondere die Vermeidung betriebsratloser Zeiten im Betrieb, die der Konzeption des Betriebsverfassungsgesetzes widerspreche, dass der Arbeitgeber auf die Möglichkeit der Anfechtung der Betriebsratswahl gem. § 19 BetrVG verwiesen wird.
Fehler, die zur Nichtigkeit der Betriebsratswahl führen würden, konnten sowohl das Arbeitsgericht Berlin als auch das Landesarbeitsgericht Berlin – Brandenburg nicht feststellen. Die von der Arbeitgeberin vorgebrachten Vorwürfe stellen, so sie denn tatsächlich vorliegen, Verstöße gegen § 16 BetrVG (Bestellung Wahlvorstand), § 2 Wahlordnung zum BetrVG (Wahlausschreiben) und § 1 BetrVG (Betriebsbegriff) dar. Bei allen denkbaren Verstößen handelt es sich um solche, die im Regelfall nicht zur Nichtigkeit, sondern zur Anfechtbarkeit der Betriebsratswahl führen könnten. Die fehlerhafte Bestellung des Wahlvorstandes führt nicht zur Nichtigkeit der Betriebsratswahl. Eine Ausnahme hiervon besteht nur, wenn überhaupt kein Wahlvorstand wirksam bestellt wurde oder die Bestellung nichtig ist (bspw. Bestellung nach Ablauf des Übergangsmandats gem. § 21a BetrVG oder Fehler aus machttaktischem oder willkürlichem Kalkül). Die Verkennung des Betriebsbegriffs kann, trotz ihrer weitreichenden Auswirkungen als Verstoß gegen Vorschriften über das Wahlrecht, die Wählbarkeit oder das Wahlverfahren nur dann zur Nichtigkeit der Betriebsratswahl führen, wenn offensichtlich oder wissentlich der Betriebsbegriff verkannt wurde. Ein fehlerhaftes Wahlausschreiben oder eine fehlerhafte Bekanntmachung des Wahlausschreiben stellt zwar einen Verstoß gegen wesentliche Vorschriften über das Wahlverfahren, jedoch keinen eklatanten Verstoß gegen fundamentale Wahlgrundsätze dar.
Folgerichtig war die Arbeitgeberin daher auf die Wahlanfechtung zu verweisen, die dem Amtsantritt des gewählten Betriebsrats nicht entgegensteht. Ob eine Wahlanfechtung überhaupt erfolgreich sein wird, hängt auch davon ab, ob bei Einhaltung der Vorschriften zum Wahlverfahren ein anderes Wahlergebnis erzielt worden wäre (§ 19 Abs. 1 BetrVG).
Fazit:
Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts ist zutreffend und wendet die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (u.a. BAG, Beschluss vom 27. Juli 2011 – 7 ABR 61/10) konsequent an. Aufgrund der einschneidenden Wirkung des Abbruchs einer Betriebsratswahl kann dies auf Antrag des Arbeitgebers im einstweiligen Verfügungsverfahren nur dann erfolgen, wenn die eingeleitete Betriebsratswahl „die Nichtigkeit auf der Stirn trägt“. Hierfür muss sie unter so eklatanten Verstößen gegen fundamentale Wahlgrundsätze erfolgen, dass auch der Anschein einer dem Gesetz entsprechenden Wahl nicht mehr besteht. Die bloße Anfechtbarkeit der Betriebsratswahl kann einen Abbruch dagegen, auch bei erstmaliger Durchführung einer Betriebsratswahl, nicht rechtfertigen. Wahlvorstände sollten in allen Konstellation der Androhung von einstweiligen Verfügung nicht vorschnell mit Abbruch der Wahl reagieren, sondern rechtliche Beratung einholen.
Fabian Wilden
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