Bauwirtschaft im Wandel: Die unbequemen Megatrends, die jeder kennen sollte
Poesie und Größe – die Selbstreinigungskraft der Erde aus Cal Flyns Sicht, eine Buchkritik von Sven Bading, Magdeburg
Niemand spricht gerne darüber, aber die Megatrends wie Umweltzerstörung und Überbevölkerung betreffen die Bauwirtschaft besonders. Kaum einer weiß zum Beispiel, dass die Hälfte aller Abfälle in der Bundesrepublik Deutschland aufgrund von Bautätigkeiten anfallen. Vergessen ist auch, dass bis vor einigen Jahren in der Volkswirtschaft der Satz galt, dass Luft, Wasser und Erde freie Güter sind, die keinen Preis haben. Der Einfluss des Menschen auf die Welt ist binnen 50 Jahren so stark geworden, dass Ängste und schlechtes Gewissen das Bewusstsein der Bevölkerung prägen. Die anthropozentrische Weltansicht gilt als Sündenfall. Die Kraft dieser Bewegung ist so stark, dass einige Länder Südamerikas jetzt die Verfassung ändern und nicht den Mensch in den Mittelpunkt stellen, sondern die Erde selber. Der Mensch ist der Untergang der Welt. Unberücksichtigt bleibt dabei die Selbstreinigungskraft der Erde, die völlig unterschätzt wird. Dagegen erhebt sich leise eine Stimme in Form eines Werkes. Eine starke und poetische Cal Flyn’s „Verlassene Orte: Enden und Anfänge in einer menschenleeren Welt“ entführt uns in eine Welt, die einmal vom Menschen beherrscht wurde, nun aber der Natur überlassen ist. Flyn, eine junge schottische Autorin, unternimmt eine literarische Reise zu 13 verlassenen Orten auf der ganzen Welt, um zu erkunden, wie sich diese Orte in Abwesenheit des Menschen verändert haben und was sie uns über unsere Beziehung zur Natur und unsere Auswirkungen auf die Umwelt lehren können.
Einblicke in „Verlassene Orte“
Nicht die Abstraktion der Gedanken, sondern das praktische Beispiel macht das Werk so stark und einprägsam. Alleine die Auswahl der Orte zeigt die Großartigkeit der Beispiele, wer kennt schon:
Inchkeith, Schottland: Einst eine Quarantäneinsel für Syphiliskranke, ist die schottische Insel Inchkeith heute menschenleer, aber von Vögeln bevölkert. Flyns Beschreibung der Tunnel auf der Insel, durchsetzt mit Kadavern von Möwen und Kaninchen, veranschaulicht die raue Rückkehr der Natur an Orte, die einst vom Menschen dominiert wurden.
Zone Rouge, Verdun: Hier, auf den Schlachtfeldern des Ersten Weltkriegs, findet Flyn Pflanzen, die giftige Metalle aus dem Boden ziehen, als Form der Selbstverteidigung und der Anpassung an eine von Menschenhand vergiftete Umgebung. Ein Beispiel dafür ist der Nickelbaum in Neukaledonien, dessen Saft reich an Nickel ist.
Detroit, USA: Flyn beschreibt, wie die industrielle Deindustrialisierung Detroits zu einem städtischen Verfall und einer Zunahme von Kriminalität geführt hat, was als „Glasgow-Effekt“ bekannt ist – eine höhere Sterblichkeitsrate in deindustrialisierten Städten aufgrund von städtischer Erneuerung und niedriger Moral..
Arthur Kill, New Jersey: Dieses Gebiet, das früher Ölraffinerien und Chemiewerke beherbergte, ist jetzt mit toxischen Chemikalien kontaminiert. Flyn hebt hervor, wie die Tierwelt sich an diese Bedingungen angepasst hat, beispielsweise Killifische, die eine hohe Resistenz gegen Industrieabfälle entwickelt haben.
Slab City, Kalifornien: Flyn beschreibt diesen Ort als eine Art postapokalyptische Gesellschaft, zusammengesetzt aus Überbleibseln einer untergegangenen Zivilisation. Slab City dient in ihrem Buch als Warnung und Beispiel dafür, was unsere Welt in der Zukunft werden könnte.
Starke Beispiele menschlichen Handels und der Folgen
Die Autorin Flyn vermeidet es, menschengemachte Umweltkatastrophen zu verklären. Stattdessen zieht sie aus der Anwesenheit von Flora und Fauna den „Glauben an die Möglichkeit der Veränderung“ und betont die Notwendigkeit menschlicher Anstrengungen, um positive Veränderungen herbeizuführen. Ihr Buch ist eine Mischung aus Information und Poesie, wobei sie sowohl die zerstörerischen Handlungen des Menschen als auch die Rückkehr des Lebens hervorhebt. Ihre eigene zurückhaltende Lebensweise macht die Autorin gänzlich unverdächtig. Eher wird deutlich, dass eine genaue und feine Beobachtungsgabe und ein Perspektivwechsel die Gedanken beflügeln. Dabei wird klar, dass die Natur eine reaktive und kraftvolle Kraft ist, die sich an veränderte Bedingungen anpassen und gedeihen kann, auch in den von Menschen am meisten beeinträchtigten Landschaften.
Seit den Anfängen des menschlichen Denkens, des Beginns der Philosophie gilt: Panta rhei – alles fließt
Flyns Werk ist somit nicht nur eine Erkundung verlassener Orte, sondern auch eine Reflexion über den menschlichen Einfluss auf die Umwelt und die erstaunliche Fähigkeit der Natur, sich von menschlichen Eingriffen zu erholen. Es ist eine Geschichte der Erlösung, die zeigt, wie die am stärksten verschmutzten Orte der Erde durch ökologische Prozesse rehabilitiert werden können, obwohl dies nicht dem Menschen zu verdanken ist. In „Verlassene Orte“ erscheint der Mensch sowohl als Täter als auch als Opfer in der Geschichte der Erde, während die Natur als reaktive und mächtige Kraft hervortritt. Das Werk ist tröstlich, zugleich Menschen liebend und Verantwortung übernehmend, das spürt, wer das Werk zur Hand nimmt.
Autor: Sven Bading
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