Bis ins kleinste Detail planen oder das Wesentliche sehen?
Christian Roth beleuchtet, warum sich Unternehmen durch Perfektionismus vieler Chancen berauben und wie es gelingt, den Fokus wieder auf das Wesentliche zu legen.
Zu Beginn greift Christian Roth ein Bespiel auf und verdeutlicht, wie viele Unternehmen mit Perfektionismus wertvolle Chancen vergeuden: „Glauben Sie, dass Erfindungen wie beispielsweise das Auto noch verbessert werden können? Doch was wäre gewesen, wenn der Erfinder alles bis ins kleinste Detail hätte perfektionieren wollen? Würde er heute noch leben, wäre er wahrscheinlich noch immer nicht fertig.“ In Unternehmen sehe es häufig ähnlich aus. Es werde nichts fertig, da immer wieder eine Komponente gefunden wird, die nicht perfekt ist. Man verliere sich in den Details und damit gehe der Fokus für das Wesentliche verloren. In endlosen Meetings und Besprechungen diskutiere man darüber, was noch perfektioniert werden könne und komme am Ende zu keiner Entscheidung. In einer Welt, in der sich rasant von heute auf morgen alles ändern kann, sei es kontraproduktiv Zeit und Energie zu verschwenden, indem man versuche alle Eventualitäten zu berücksichtigen.
In Branchen wie der Medizin, Luft- oder Raumfahrt sei Perfektionismus natürlich angebracht, denn dort hängen Menschenleben davon ab. In Unternehmen, in denen das nicht der Fall ist, reiche für einen Markstart jedoch meist das Minimum Viable Product (MVP) aus. „Diese Startversion erfüllt die elementarsten Funktionen und genügt, um die Bedürfnisse der Kunden fürs Erste zu befriedigen. Das Produkt oder die Dienstleistung müssen zu Beginn noch lange nicht perfekt oder allumfassend sein“, erklärt Christian Roth. Vielmehr hätten Unternehmen jetzt die Chance, direkt aus dem User-Feedback zu lernen und das Produkt oder die Dienstleistung daran angelehnt zu verbessern und zu entwickeln. Ein Vorteil des MVP sei, dass man schnell auf den Markt kommen kann. Denn auch die Mitbewerber wissen, was die Kunden wollen und wer zu lange wartet, werde schnell überholt. „Der zweite Vorteil ist, dass Sie sich direkt das Feedback der Kunden einholen können und so die Funktionalitäten auf die tatsächlichen Bedürfnisse anpassen können. Diese werden dann meist auch besser akzeptiert“, ergänzt Christian Roth.
Wer auf ein klassisches Pflichten- und Lastenheft setze, investiere oftmals Wochen oder gar Monate in den Anspruch alle Funktionalitäten und Eventualitäten zu Papier zu bringen. Während die Konkurrenz mitunter schon eine erste Version auf den Markt bringt, verstreiche in manchen Unternehmen noch viel Zeit, bis die Verhandlungen zwischen Auftraggebern und -nehmern und die Erstellung der entsprechenden Dokumente fertig sind. Christan Roth warnt hier vor einer großen Gefahr: „Ist dann alles bereit für den Launch haben sich die Anforderungen der Endkunden schon wieder verändert. Auch die Konkurrenz ist meilenweit voraus und hat auf diesem Weg den einen oder anderen Ihrer Kunden mitgenommen.“ Ein weiterer Aspekt, der gegen Perfektion bis ins kleinste Detail spricht, sei, dass sich Aufwand und Nutzen unverhältnismäßig gegenüberstehen. Hierzu führt Christian Roth an: „Stellt man einmal Arbeitsstunden, eventuell sogar das Hinzuziehen von teuren externen Spezialisten, Materialkosten, Marktforschung usw. dem Outcome gegenüber, dann ist meist klar, dass die Rechnung nicht immer ganz aufgeht.“ Er rät deshalb zum Pareto-Prinzip. Dieses besagt, dass 80% der Ergebnisse mit 20% des Gesamtaufwandes erreicht werden. Die verbleibenden 20% der Ergebnisse erfordern 80% des Aufwandes und nehmen damit viel Zeit in Anspruch, ohne einen höheren Erfolg zu garantieren.
Die stetige Verbesserung innerhalb der Organisation, sowohl von Mitarbeitenden als auch Produkten oder Dienstleistungen sei wichtig, aber meist zu einer hohlen Phrase verkommen. Es gehe hierbei nicht darum, Perfektionismus anzustreben oder Mitarbeitende ständig auf Weiterbildungen zu schicken. Das sei laut Christian Roth nur ein Herumdoktern an Symptomen aber keine Ursachenbekämpfung. „Wer sich ernstgemeint verbessern will, muss an einem anderen Punkt ansetzen: Es gilt, eine konstruktive Fehlerkultur zu schaffen und sich in der Führung darüber bewusst zu werden, dass nicht alles „totgedacht“ werden muss. Es muss gelernt werden, mit Fragezeichen zu leben, denn nicht auf alles ist immer sofort eine Antwort zu finden“, so Christian Roth. In erste Linie gehe es darum, ins Handeln zu kommen und zu experimentieren. Wer nach dem Motto „safe enough to try“ Neues ausprobiert, werde schnell feststellen, was funktioniert und was nicht.
Abschließend appelliert Christian Roth an Unternehmen die Haltung des Perfektionismus gegen eine des Ausprobierens zu tauschen. Wer dies in den Arbeitsalltag integriere, lerne schnell vom Markt und könne sich leichter anpassen. Eine starke Veränderungsbereitschaft mache die Mitarbeitenden und damit auch die gesamte Organisation zudem resilienter und verankert die Bereitwilligkeit zur Anpassung tief in der Unternehmens-DNA.
Weitere Ausführungen zum Thema Perfektionismus zeigt Christian Roth in seinem persönlichen Blog.
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