China: Die lautlose Neuordnung der Welt?

Das Projekt „Neue Seidenstraße“ ist Pekings wichtigster Schritt zur geopolitischen Neuordnung der Welt

China: Die lautlose Neuordnung der Welt?

Dr. Thies Claussen (Foto: Dagmar Rutt)

In seinem neuen Buch „Denkanstöße – Acht Fragen unserer Zeit“ behandelt Dr. Thies Claussen in einem der acht Kapitel auch die aktuelle Rolle Chinas in der Weltpolitik am Beispiel der „Neuen Seidenstraße“. Welche Rolle hat dabei die Kommunistische Partei Chinas?:

„Die universellen Menschenrechte, die demokratische Entscheidungsfindung und die Rechtsstaatlichkeit haben mächtige Feinde, und der vermutlich bedrohlichste dieser Feinde ist China unter der Herrschaft der Kommunistischen Partei. Die Kommunistische Partei Chinas verfolgt ein ambitioniertes, gut geplantes Programm zur weltweiten Einflussnahme und Einmischung und kann gewaltige wirtschaftliche und technologische Ressourcen einsetzen, um ihr Vorhaben zu verwirklichen. Tatsächlich sind die groß angelegte Kampagne zur Unterwanderung der Institutionen in westlichen Staaten und die Versuche, die Eliten dieser Länder an China zu binden, sehr viel weiter fortgeschritten, als die Parteiführung selbst erwartet haben dürfte.“

Dies sind die Kernthesen der beiden Chinaexperten Clive Hamilton und Mareike Ohlberg in ihrem neuen, umfassend recherchierten Buch „Die lautlose Eroberung. Wie China westliche Demokratien unterwandert und die Welt neu ordnet“.

Viele Chinesen – auch im Ausland – sowie Tibeter, Uiguren, Anhänger von Falun Gong und Demokratieaktivisten in Hongkong sind den Repressionsmaßnahmen des chinesischen Regimes ausgesetzt. Nicht wenige Regierungen, akademische Einrichtungen und Manager fürchten sich vor finanziellen Repressalien, sollten sie die Regierung in Peking verärgern.

China ist als größte Fabrik und zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt ein Magnet für ausländische Unternehmen und für viele westliche Politiker. 2019 erzielte China mit 422 Mrd. US-Dollar den weltweit größten Handelsbilanzüberschuss, gefolgt von Deutschland (255 Mrd. US-Dollar) und Russland (165 Mrd. US-Dollar). Beim Bruttoinlandsprodukt liegt China mit 14.401 Mrd. US-Dollar hinter den USA (21.433 Mrd. US-Dollar) an zweiter Stelle. Ausländische Industrien sind auf den Zugang zum riesigen chinesischen Markt angewiesen. Wie stark nutzt die Kommunistische Partei Chinas diese Abhängigkeit bereits heute, um Chinas globalen Einfluss zu erhöhen und China langfristig zur wichtigsten globalen Macht zu machen?

Das wichtigste Projekt Pekings zur geopolitischen Neuordnung der Welt ist das Projekt „Neue Seidenstraße“ („Belt and Road Initiative“). Dieses 2013 erstmals von Staatspräsident Xi Jinping vorgestellte Projekt ist das größte Infrastrukturprojekt aller Zeiten und gleichzeitig Chinas geostrategischer Masterplan, mit dem es die Weltwirtschaft neu ordnen will. 1000 Mrd. Dollar sollen nach dem Willen Pekings in neue Eisenbahnstrecken, Pipelines, Kraftwerke, Straßen und Häfen fließen, entlang der Land- und Meeresrouten vom Fernen Osten nach Europa und Afrika. Die Chinesen versprechen eine „neue Seidenstraße“ – angelehnt an die antike Handelsroute, die jahrhundertelang Zentralasien, den Nahen Osten und Europa verband und erst nach 1514 in Vergessenheit geriet, als portugiesische Händler China auf dem Seeweg erreichten. Das heutige geostrategische Vorhaben hat mit Kamelkarawanen oder den antiken Handelsrouten zwischen China und Europa aber nur noch wenig zu tun.

Rund 90 Länder sind bereits in das Projekt „Neue Seidenstraße“ eingebunden. Viele beteiligte Länder (etwa Pakistan, Sri Lanka, Malaysia oder die Malediven) haben sich bei den Chinesen schwer verschuldet und sind dadurch auch politisch von diesen abhängig geworden. Wie es aussieht, wenn die Schuldenfalle zuschnappt, zeigte sich zum Beispiel 2017 in Sri Lanka. Auch dort hatte China im Rahmen von „Belt and Road“ Geld zugeschossen und den Hafen Hambantota ausgebaut. Als Sri Lanke dann aber die Kredite nicht mehr bedienen konnte, musste es den Hafen und ein Industriegebiet für 99 Jahre an ein chinesisches Unternehmen verleasen.

In den EU-Staaten hat China in den letzten Jahren Milliardenbeträge investiert. In Europa besitzen chinesische Unternehmen mittlerweile Flughäfen, Häfen und Windparks in neun Ländern. Chinesische Unternehmen sind Allein- oder Miteigentümer der Häfen in Rotterdam (Europas größter Hafen), Antwerpen und Zeebrugge. Die staatseigene China Ocean Shipping Company besitzt den größten griechischen Hafen in Piräus, und hält einen Mehrheitsanteil an der spanischen Hafenverwaltungsgesellschaft Noatum, womit sie die Häfen von Bilbao und Valencia kontrolliert.

Als erster G-7-Staat hat sich auch Italien enger an China gebunden. Chinesische Großinvestitionen sind in den Häfen von Triest und Genua vorgesehen. Norditalien soll zum großen Umschlagsplatz für chinesische Exporte werden und per Straße und Schiene von dort mit ganz Europa verbunden werden. Die Chinese Communications Construction Company verhandelt mit den Hafenbehörden in Genua auch über den Bau eines großen Landestegs für Kreuzfahrtschiffe. Und ein Investmentfonds aus Shanghai will offenbar Milliarden in den Hafen von Palermo investieren, um diesen zu einem Hub im Mittelmeerraum zu machen.

In Deutschland ist Duisburg zu einem wichtigen Knotenpunkt der Neuen Seidenstraße geworden. Im Duisburger Güterbahnhof enden mehrere Güterzugverbindungen zwischen Deutschland und China. Die Ladung wird in Duisburg verschifft oder auf Lkw geladen und nach ganz Europa transportiert. Als Staatspräsident Xi Jinping 2014 zum ersten Mal Deutschland besuchte, äußerte er einen überraschenden Wunsch: Er wollte Duisburg sehen. Um genauer zu sein, den Güterbahnhof im Duisburger Hafen, dem größten Binnenhafen Europas. Xi Jinping begrüßte in Duisburg einen Zug, der 16 Tagen vorher in Chongqing, am anderen Ende der Seidenstraße losgefahren war, und nach 10.300 Kilometern sein Ziel Duisburg erreichte. Die neue Bahnverbindung ist halb so teuer wie Luftfracht und doppelt so schnell wie der Seeweg. So strategisch denkt China: In Duisburg ist das Ende einer Bahnstrecke, die im eigenen Land beginnt.

Brüssel, vor allem auch die Regierungen in Berlin und Paris beobachten den wachsenden wirtschaftlichen und politischen Einfluss Pekings in Europa mit Sorge. Die neue Seidenstraße sei eine Initiative von und für China, aus der die Partnerstaaten kaum Vorteile zögen, sondern eher in ungewollte Abhängigkeiten gerieten, mahnen sie.

Die EU hat sich erst zögerlich zu ersten Gegenreaktionen durchgerungen, und selbst das will sie ausdrücklich nicht als Angriff auf Peking verstanden wissen. Ab 2021 will Brüssel 30 Prozent mehr Geld für den Ausbau von Zugstrecken, Autobahnen und Stromtrassen mit dem Ziel bereitstellen, Verkehrs- und Energienetze besser mit Zentralasien zu verknüpfen. Im Rahmen der sogenannten europäischen „Konnektivitäts-Strategie“ sollen dafür 123 Milliarden Euro bis 2027 fließen, gegenüber mehr als einer Billion Euro, die China in die Infrastruktur pumpen will.

Wie kann die EU angesichts dieser gravierenden finanziellen Unterschiede mit dem Versuch Chinas umgehen, noch stärker als bisher Einfluss auf die europäischen Staaten zu nehmen? Viele Politiker mussten zum Schluss kommen, dass Rücksicht im Umgang mit China in der Vergangenheit nichts genützt hat. Die Kommunistische Partei Chinas versteht nur klare Ansagen. Zwar befürchten einige europäische Firmen, sie könnten wegen einer härteren China-Politik ihrer Regierungen den Zugang zu wichtigen Märkten oder lukrative Aufträge verlieren. Viele Unternehmen haben schmerzhaft lernen müssen, dass Kritik an China viel kosten kann.

Aber auch, wenn die Kommunistische Partei Chinas mit viel Selbstvertrauen auftritt: Es ist nicht nur so, dass die EU China braucht. Auch China braucht den europäischen Absatzmarkt. Noch wichtiger ist: Die europäischen Unternehmen dienen China als Zulieferer für Technologien, die das Land bisher nicht besitzt. Zwar stellt sich hier das bekannte Problem der Produktpiraterie und des Technologieabflusses. Dennoch ist der technologische Vorsprung ein wichtiger Trumpf, den die Europäische Union noch besitzt.

Prof. Bert Rürup stellt im Januar 2021 im Handelsblatt die Frage: „Wie also könnte das internationale Kräfteverhältnis in zehn Jahren aussehen? Wird China die USA dann als führende Weltmacht abgelöst haben?“ Das Londoner Centre for Economic and Business Research erwartet, dass Chinas Bruttoinlandsprodukt bereits im Jahr 2028 die Wirtschaftsleistung der USA übertreffen wird. Auch Rürup kommt zum Schluss, dass China bis zum Ende des Jahrzehnts den Weg zur wirtschaftlichen Weltherrschaft gehen wird.

Geben wir einer „Grande Dame“ der Politik das letzte Wort. Die ehemalige US-Außenministerin Madeleine Albright plädiert dafür, dass Europa mit Amerika zusammenarbeitet beim Umgang mit China: „Wir sollten sehr vorsichtig sein. Die neue Seidenstraße ist ein Mittel, um uns voneinander zu trennen. China hat mehrere wichtige Einrichtungen in Europa gekauft und damit Abhängigkeiten hergestellt. Wir sollten uns bewusst sein, welche Motive die Chinesen verfolgen. Europa und die USA müssen deshalb eng kooperieren. Auch um zu verhindern, dass ein Land in die Schuldenfalle tappt, die China stellt. Wir müssen wachsam sein, was China betrifft.“

Von Dr. Thies Claussen sind die Bücher „Denkanstöße – Acht Fragen unserer Zeit“ (2021), „Unsere Zukunft nach Corona“ (2020), „Ludwig Erhard. Wegbereiter unseres Wohlstands“ (2019), „Zukunft beginnt heute“ (2018) und „Unsere Zukunft“ (2017) erschienen.
Der Autor war Ministerialdirigent im Bayerischen Wirtschaftsministerium und zuletzt Vizechef der LfA Förderbank Bayern. Berufliche Erfahrungen sammelte er auch bei der Wacker Chemie AG, der Flughafen München GmbH und im Bayerischen Landtag.

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