„Gewalt kennt kein Geschlecht“

IG Jungen, Männer und Väter: 50 Prozent der häuslichen Gewalt geht von beiden Partnern aus/Geschlechtsneutrale Gewaltschutzhäuser für Opfer/Forderung nach dem Zerschlagen des Bundesfamilienministeriums

"Gewalt kennt kein Geschlecht"

Männer häufiger Opfer häuslicher Gewalt (v. l.): David Müller und Thomas Penttilä von der IG JMV (Bildquelle: @Foto: Josef König für IG JMV)

MÜNCHEN – Immer mehr Männer werden Opfer häuslicher Gewalt. Internationale Studien gehen davon aus, dass beide Geschlechter in partnerschaftlichen Auseinandersetzungen 50 Prozent der Taten ausüben. Deshalb spricht sich eine bundesweite Männerinitiative dafür aus, im Diskurs Geschlecht und Gewaltbegriff zu trennen. „Gewalt hat und kennt kein Geschlecht“, sagte David Müller, Sprecher der bundesweiten geschlechterpolitischen Interessengemeinschaft Jungen, Männer und Väter (IG JMV) am Montag vor Journalisten in München.

Die IG JVM stützt die Aussage, dass die Gewalt je zur Hälfte von Männern und Frauen ausgeht, auf die Auswertung von weltweit 270 Studien mit 440.000 Teilnehmer. Im Zweifel bleibe lediglich, so David Müller, welches Geschlecht stärker von Gewalt betroffen sei oder welches Geschlecht häufiger zuerst zuschlage. Die Studien zeigen auch: Wenn nur einer der Partner gewalttätig ist, werde der Mann etwas häufiger zum Opfer als die Frau. Bei Gewalt gegen Kinder seien überwiegend (80 Prozent) Mütter die Täterinnen, etwa bei Kindstötung. Die offizielle Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) weist laut Bundeskriminalamt (BKA) für 2018 bundesweit 140.755 Opfer partnerschaftlicher Gewalt aus. Die Opferzahl wird aufgeschlüsselt in 114.393 Frauen (81,27 Prozent) und 26.362 Männer (18,73 Prozent). Zu den erfassten Straftaten zählen Mord und Totschlag, Körperverletzungen, sexuelle Übergriffe und Nötigung, Vergewaltigung, Bedrohung, Stalking, Freiheitsberaubung, ökonomische Gewalt (Verletzung der Unterhaltspflicht), Zuhälterei und Zwangsprostitution.

Hohe Dunkelziffer von männlichen Opfern
„Die offizielle Statistik bildet nur die Spitze des Eisbergs ab“, sagt David Müller: „Die Dunkelziffer ist wesentlich höher. Männer schweigen lieber.“ Bei ersten Hilferufen würden Männer selten zugeben, dass sie von ihrer Partnerin geschlagen worden seien. Es sei kaum möglich, Opfer dazu zu bewegen, öffentlich zu berichten, weiß die Interessengemeinschaft JVM. Behörden seien häufig auf dem Auge der „weiblichen Gewalt“ blind: Die einseitige Sicht auf den männlichen Täter und das weibliche Opfer wird laut IG JVM in den Veröffentlichungen der Behörden unterstützt. Die Broschüre der bayerischen Polizei zur häuslichen Gewalt etwa stellt fälschlicherweise fest: „In den meisten Fällen geht diese Gewalt von Männern aus, deshalb wird im Folgenden nur von ´Tätern´ gesprochen.“

Folgen der Corona-Pandemie
Die Befürchtungen vermehrter Fälle häuslicher Gewalt während der Corona-Pandemie hat sich laut IG JMV nicht bestätigt. Geldsorgen, Probleme mit der Arbeit oder fehlende Distanz seien zwar Warnzeichen gewesen. In Nordrhein-Westfalen sei häusliche Gewalt im März 2020 um 26 Prozent zurückgegangen. Gegen die realen Zahlen habe das Bundesfamilienministerium unter Franziska Giffey (SPD) mit einer Kampagne „Stärker als Gewalt“ reagiert, in der vorwiegend die Gewalt von Männern gegen Frauen thematisiert worden ist. „Panik und alte Vorurteile sind ein schlechter Ratgeber“, betont David Müller. „Noch in der Krise versucht das Ministerium sein Süppchen mit der Mär von überwiegend gewalttätigen Männern zu kochen.“

Kritik am Gewaltschutzgesetz
Das Gewaltschutz-Gesetz soll nach dem Willen des Gesetzgebers die Opfer von häuslicher Gewalt vor allem durch die Möglichkeit schützen, die eigene Wohnung nutzen zu können, ohne sie mit der gewalttätigen Person teilen zu müssen. Entsprechende Entscheidungen treffen die Familiengerichte auf Antrag der Opfer nach dem Grundsatz „Wer schlägt, muss gehen – das Opfer bleibt in der Wohnung.“ Dieser Grundsatz wird nach Ansicht von Thomas Penttilä meist zum Nachteil der Männer ausgelegt. Insbesondere wenn beide Partner sich gegenseitig attackiert haben. Deshalb fordert die IG JMV den Automatismus, diesen Grundsatz stärker zu hinterfragen. „Wenn beide schlagen, kann dies nicht nur zu Lasten der Männer gehen.“

Bundesfamilienministerium zerschlagen
Als größtes Hindernis für eine neutrale Sicht auf die Problematik der häuslichen Gewalt sieht die IG JVM das Bundesministerium für Familien, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ). Deshalb fordern die Initiatoren, das Bundesfamilienministerium in seiner jetzigen Form zu zerschlagen. Das Bundesfamilienministerium hat sich nach Ansicht von IG-Sprecher David Müller seit über 20 Jahren nur um „Gewalt an Frauen“ gekümmert und die andere Geschlechterseite völlig ausgeblendet. Es seien zwar „heilige Kühe“ der feministischen Gewaltdebatte wie der Begriff „Männergewalt“ geschlachtet worden. Die Kooperation des Ministeriums mit extremistischen Elementen der autonomen Frauenbewegung habe zu einem neuen Weg der „Totalkonfrontation“ gegenüber der männlichen Hälfte der Bevölkerung geführt.
Der Begriff „häuslichen Gewalt“ werde vom Ministerium als Euphemismus für „Männergewalt“, also schlagende Ehemänner, verwendet. Das Ministerium hält an der vermuteten Geschlechterverteilung bei Opfern und Tätern gegen alle empirische Forschung fest. Das Bundesfamilienministerium vergibt nach Auswertung der IG JVM Aufträge für Studien einseitig, z.B. werden nur Frauen nach ihren Erfahrungen als Opfer befragt. 99 Prozent der Finanzmittel des Bundesfamilienministeriums gegen Gewalt werden nur für ein Geschlecht eingesetzt, kritisiert die Männerinitiative. Selbst unter Berücksichtigung der BKA-Statistik müssten 20 Prozent des Budgets an Männerprojekte gehen, fordert David Müller.

Das Ministerium ignoriere seinen Auftrag aus dem Grundgesetz Artikel 2, das Recht auf körperliche Unversehrtheit auch bei Jungen und männlichen Senioren und Vätern zu fördern. Das Ministerium ignoriere seinen Auftrag gemäß Grundgesetz Artikel 3, gleichberechtigt auch Männer vor häuslicher Gewalt zu schützen. Stattdessen weist das Ministerium Männer an, „einfach mal die Klappe halten“ (Dossier zur partnerschaftlichen Gleichstellungspolitik vom 28.09.2020). „Das Ministerium hat über zwei Jahrzehnte bewiesen, dass es strukturell und systematisch unfähig ist, das Problem der Gewalt in Familien konstruktiv anzugehen.“ Die einzelnen Ressorts des Ministeriums sollten aufgelöst werden. In Zukunft soll nach dem Vorschlag der IG JVM ein neues Ministerium für Familie aufgebaut werden.

Forderung nach Gewaltschutzhäusern

Thomas Penttilä, Vorsitzender des Vereins Trennungsväter e. V. (Amberg), kritisiert die bundesweit fehlenden Schutzeinrichten für Männer. Eine Koordinierungsstelle des Bundesfamilienministeriums betreibe sieben Schutzeinrichtungen für etwa 20 Männer und deren Kinder. „Das ist viel zu wenig. Wir wollen Gewaltschutzhäuser unabhängig vom Geschlecht“, fordert Penttilä. Die Gewalt gehe von einer Person aus dem Umfeld aus, aber nicht vom ganzen anderen Geschlecht. Deshalb sollten Gewaltschutzhäuser nach dem Beispiel von Norwegen oder Finnland geschlechtsunabhängig mehr Schutz bieten. Diese Einrichtungen gibt es dort schon seit den 1940er Jahren. „Gewalt kennt kein Geschlecht“, sagt Penttilä. Mit der Institution „Frauenhaus“ werde suggeriert, eine von Gewalt betroffene Frau fliehe vor einem ganzen Geschlecht, somit 50 Prozent der Bevölkerung. In der Realität fliehe das Opfer allerdings nur vor einer einzigen gewalttägigen Person. „Es könnte sogar therapeutisch sinnvoll sein, die Opfererfahrung gemeinsam mit Betroffenen des anderen Geschlechts aufzuarbeiten“, rät die Interessensgruppe Jungen, Männer und Väter.
Ein großes Problem sehen die IG-JVM-Vertreter in der Personalausstattung der bundesweit rund 350 Frauenhäuser mit 6.400 Plätzen. Die Häuser seien sehr häufig mit „radikalfeministischem“ Personal besetzt. Der Feminismus sehe die einzige Ursache für häusliche Gewalt im männlichen Streben nach Macht und Kontrolle über Frauen. Es sei deshalb nachvollziehbar, dass Sozialarbeiterinnen aufgrund ihres erlebten Alltags und ihrer Parteilichkeit die Lasten eines Geschlechts verstärkt wahrnehmen. „Diese subjektive Wahrnehmung darf in der öffentlichen Diskussion keine Rolle mehr spielen“, betont Penttilä: „Wir müssen weg kommen von ideologischen Debatten und hin zu einem pragmatischen Kurs des Gewaltschutzes.“
Männer-Opfer: Vorbild Bayern und NRW
Die Bundesländer Bayern und Nordrhein-Westfalen gehen nach Ansicht der IG JMV mit gutem Beispiel bei der Versorgung von Gewalt betroffener Männer voran. Für betroffene Männer ist im April 2020 ein Hilfetelefon ins Leben gerufen worden. Unter der Nummer 0800-1239900 können sich Männer melden, die von häuslicher Gewalt oder von Stalking betroffen sind. „Häusliche Gewalt ist überwiegend weiblich, aber sie ist auch männlich“, sagte die NRW-Gleichstellungsministerin Ina Scharrenbach (CDU). Der Freistaat Bayern geht unter Sozialministerin Carolina Trautner (CSU) einen Schritt weiter: In einem Modellversuch werden seit Anfang 2020 Beratungsstellen und Schutzwohnungen in Nürnberg und Augsburg finanziert.

Weg vom feministischen Täter-/Opfer-Denken
IG-JVM-Sprecher David Müller spricht sich für einen neuen Ansatz im Täter-/Opfer-Denken aus: Der Diskurs sollte das einseitige feministische Bild ablegen. Seiner Ansicht nach geht häusliche Gewalt von beiden Seiten aus. Es helfe keiner Seite – weder Mann noch Frau -, sich gegenseitig zu beschuldigen. Gerade Kinder im Kreuzfeuer von gewalttätigen Partnerschaften hätten nichts davon, nur eine Seite als Täter hinzustellen, so Müller. Sehr besorgniserregend seien Forschungsergebnisse, dass Kinder aus gewalttätigen Beziehungen ein hohes Risiko aufweisen, später ebenfalls in solchen Beziehungen zu leben. „Dieser Kreislauf der Gewalt sollte beendet werden“, fordert Müller.
Mythos vom privilegierten Mann
Die IG JMV räumt mit den Vorurteilen des radikalfeministischen Mythos auf, der Mann sei im Leben privilegiert. Alle Menschen – ob Mann oder Frau – hätten im Leben ihre Lasten zu tragen. In fast allen westlichen Industriestaaten können sich Frauen über eine höhere Lebenserwartung freuen. Frauen werden im Durchschnitt 83 Jahre alt, Männer sterben bereits mit 78 Jahren. Millionen von Männern seien im 20. Jahrhundert auf den Schlachtfeldern zweier Weltkriege gefallen. In der Berufswelt seien nicht nur Männer auf den Topetagen, vielmehr malochen sie als Müllmänner, Straßenfeger, Arbeiter auf der Bohrinsel oder als Kumpel unter Tage im Bergbau. Soldaten, Polizisten oder Feuerwehrleute seien risikobehaftete Berufe, die meist von Männern ausgeübt werden. Wer aus der Bahn fällt, ist meist männlichen Geschlechts: In Deutschland sind drei Viertel der Obdachlosen Männer, ein Viertel Frauen. In den Gefängnissen sitzen mehr „schwere Jungs“ als Frauen, auch wenn es sich um ähnliche Straftaten handelt. Frauen würden in der Opferrolle verharren, so Müller, viele Männer würden sie gerne dabei unterstützen. An fast allen staatlichen Institutionen gebe es Gleichstellungsbeauftragte, die zwangsweise weiblichen Geschlechts sein müssten und nur von Frauen gewählt würden.
Gleichberechtigung ist Chancengleichheit
Die IG JMV kritisieren – öffentlich dokumentierte – verfassungswidrige Aussagen des Bundesfamilienministeriums zur Gleichberechtigung. Das Grundgesetz sieht in Artikel 3 (2) vor, dass Männer und Frauen vor dem Gesetz „gleichberechtigt“ sind. Die Buchstaben des Gesetzes gingen aber nicht von einer „Gleichstellung“ aus, wie das Bundesfamilienministerium glaubt. „Gleichberechtigung bedeutet eine Chancengleichheit zwischen Mann und Frau, Gleichstellung verspricht eine Ergebnisgleichheit“, kritisiert David Müller.

Über IG JMV
Die Interessengemeinschaft Jungen, Väter und Männer (IG JVM) ist eine überparteiliche bundesweite geschlechterpolitische Initiative, die von den drei Männerorganisationen MANNdat e. V. (Weingarten), Trennungsväter e. V. (Amberg) und Väterbewegung e. V. (Viersen) getragen wird. Dahinter stehen bundesweit rund 300 Mitglieder.

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